Nominiert für den Deutschen Reporterpreis 2010.
Die
Hurenkinder
Sie
sind die Folge eines florierenden Sextourismus auf den Philippinen.
Sie sind auf der Welt, weil die Freier Kondome verweigern und den
Prostituierten die Pille zu teuer ist. Sie sind die Kinder von
Deutschen, Engländern, Amerikanern. Und die Einheimischen behandeln
sie wie Fremde. Weil sie zu weiß sind
Von Wolfgang Bauer,
Focus, 28.12.2009
Er ist fett“, sagt
Noriel, 11. Der Junge hält sich das Bild ganz nah vor die Augen. „Er
ist alt und hässlich.“ Auf seinem Kopf wachsen nur noch wenige
Haare. Der Hals ist dürr und faltig. Die Brille hängt schief auf
der Nase, trunken stiert der Mann zum Bildrand hinaus. Er hält eine
zierliche Philippinerin im Arm, in Slip und knappem BH, auch sie
schaut ins Leere. „Er hat meine abstehenden Ohren“,sagt Noriel.
Der Junge grinst und zupft sich am Ohr. „Meine große Nase.“
Manche Kinder in seiner Klasse verspotten ihn deswegen als
„Affenwarze“. Er hat einen ähnlich hellen Hautton wie der
Fremde. Die Kinder in der philippinischen Provinz rufen ihn
„Milchfisch“. Er ist dem Mann auf dem Foto nie begegnet und ihm
doch so vertraut. Noch einen Moment hält der Junge das Bild in den
Händen, den Kopf schief gelegt, nachdenklich, bevor es seine Mutter
wiederwegsperrt, in einen Koffer mit Vorhängeschloss. „Mein
Vater“, sagt Noriel, das Hurenkind.
Eine Generation
wächst in Asien heran, die ist wie eine Art globaler Betriebsunfall,
zu Zehntausenden gezeugt in der kürzest möglichen Begegnung von
Mann und Frau. Der Sextourismus hinterlässt in Thailand, Kambodscha
und auf den Philippinen nicht nur Tripper und Syphilis. Quer durch
Asien zieht er auch eine Spur aus Kindern. Fremdartig wie
Marsmenschen scheinen sie in die asiatischen Gesellschaften gefallen.
Weiß und großäugig wie Europäer. Schwarz wie Afroamerikaner.
Irisch rothaarig und schwedisch blond. Ihr Äußeres verrät den
Broterwerb der Mütter, die außerhalb der Bordelle ein Leben in
Ächtung führen. „Putok sa Buho“ nennt man ihren Nachwuchs auf
den konservativ katholischen Philippinen. Sie sind die, „die aus
dem Bambusrohr gepresst wurden“. „Pinulot sa tae ng Kalabaw“,
spotten die Menschen über sie, die „aus der Scheiße des
Wasserbüffels geholt“ worden seien. Die Kinder wachsen in eine
Welt hinein, die sie häufig ablehnt und in der ihnen mit zunehmendem
Alter bewusst wird: Irgendwie gehören sie nicht hierher.
Noriels Mutter ist
auf dem Sitz des Linienbusses in sich zusammengesunken, im Rhythmus
der Schlaglöcher prallt ihr Kopf gegen die Fensterscheibe. Nida
Quintana, 32, will ihre beiden Söhne besuchen, die bei Pflegeeltern
auf dem Land wohnen. Alle zwei Wochen unternimmt sie die zweistündige
Reise. Fast hätte sie morgens die Abfahrt verpasst. „So viel
Bier“, klagt sie im Halbschlaf. Quintana arbeitet in einer
Bordellbar in Angeles City auf Luzon, der philippinischen
Huren-Hochburg. Club reiht sich dort an Club, Neon überstrahlt das
Elend. In manchen Etablissements verdingen sich 1500 Frauen in drei
Schichten. Fleischmarkt jede Nacht. Der Leib als Stapelware. Bis um
sechs Uhr morgens hat ein Brite Noriels Mutter zum Trinken
angehalten. Acht Bier. Nie Wasser, klagt sie. „Die wollen uns immer
betrunken machen. Dann lachen sie.“ Wenn Quintana unbeobachtet war,
goss sie das Bier in die Toilette, weil sie doch ihren Söhnen heute
diesen Besuch versprochen hatte.
Die Haare hat sie
sich vorher noch gewaschen, um für die Kinder nicht mehr nach dem
Rasierwasser des Briten zu riechen. Sie hat sich Puder ins Gesicht
gestäubt, damit sie nicht so grau aussieht. Als sie im Dorf der
Pflegeeltern aus dem Bus steigt, mit lila Top und Pferdeschwanz,
drehen sich die Alten nach ihr um, Reisbauern wie die meisten hier.
Reißen ihre Münder auf, zeigen die fauligen Zähne und fauchen
scharfe Lachtiraden. „Sie sind Mütter ohne Ehemänner nicht
gewöhnt“, sagt Nida Quintana. Dann sieht sie die Kinder, die
Pflegeeltern haben sie zur Begrüßung vor die Tür geschickt.
Noriel, elf, ist Sohn eines Amerikaners, der sechsjährige Brian
stammt von einem Franzosen ab. Den Älteren hießen die Pflegeeltern,
das T-Shirt mit dem Werbelogo von Mutters Bordell anzuziehen. „Das
wird deine Mama freuen“, sagten sie ihm. „Walhalla“ heißt die
Bar, sie gehört einem Dänen, und die Frauen müssen zur Belustigung
Wikingerhelme aufsetzen. Die Brüder lassen sich kurz von der Mutter
drücken, bald wenden sie sich ab. Sie wollen nicht weinen.
Die Jungs wissen,
ihre Mutter arbeitet hart. Was das genau bedeutet, ahnen sie nur.
„Haut ab!“, rufen ihnen manchmal die Kinder in der Schule zu.
„Ihr seid Weiße! Ihr gehört nicht hierher.“ Vor vier Monaten
sind sie aufs Land geschickt worden. Die Großmutter, die sich früher
in Angeles City um sie gekümmert hatte, ist während einer der
Nachtschichten von Quintana gestorben. Ihr Tod zerriss die Familie,
die Mutter zog in den Schlafsaal des Bordells, die Kinder gab sie
fort. Jeden Monat schickt sie den Pflegeeltern Geld. Jeden Monat
fordern diese mehr. „Ich habe keine Wahl“, sagt sie. „Ich kann
sie nicht bei mir behalten.“
Brian hat nachts mit
dem Zähneknirschen begonnen, so laut, dass es die anderen weckt. In
den Schulpausen weicht er kaum von der Seite des Bruders. Beide sind
dort die einzigen „Ausländer“-Kinder. Die Lehrer tuscheln über
sie. Noriel, der besser Englisch spricht als seine Rektorin, ein
empfindsamer, hochintelligenter Junge, ficht seine eigenen Kämpfe.
Oft liegt er schlaflos in der Nacht. Fürchtet sich vor den Geistern
der Toten, dem schwarzen Hund, dem Vampir, der nur aus einem
schwebenden Oberkörper besteht. Vielleicht, überlegt Noriel, mögen
auch die Toten weiße Kinder nicht. Etwa die vierjährige Pauline im
Nachbarhaus, das Kind eines Deutschen, das sich immer verstecken
will. Unter dem Tisch, unterm Sofa, hinter Vorhängen.
Eine
Überlebenskünstlerin ist die Vierjährige, die Mutter hatte sie zu
töten versucht, doch war es ihr nicht gelungen. „Eine Woche lang
habe ich in der Schwangerschaft Gift gegen das Baby getrunken“,
erzählt Fortunata Tanana, 29, deren Freier sie als „Wilma“
kennen. „Aber Pauline war stärker.“ Es gibt kein Bild von ihrem
deutschen Vater, einem Rentner namens Robert, der Tanana viermal aufs
Zimmer nahm. Sie weiß von ihm nur, dass er Musik mochte und kurze
Hosen trug. Er lebt im Winter auf den Philippinen. Demnächst will
sie mit einer Freundin zu ihm fahren, um wenigstens seinen Nachnamen
zu erfahren. Pauline fragt immer häufiger nach ihm. Wenn im
Fernsehen ein weißer Schauspieler erscheint, ruft Pauline: „Daddy!“
Zu jedem Weißen sagt sie „Daddy“. Jedes Mal wenn ihre Mutter
will, dass das Mädchen eines ihrer Verstecke verlässt, sagt sie:
„Daddy ist da!“ Jedes Mal kommt Pauline dann hervor.
Noriels Mutter muss
gehen. Sie blieb nur eine knappe Stunde. Um 16 Uhr hat sie wieder in
Angeles zu sein, Schichtbeginn. Die Rückverwandlung von der
zweifachen Mutter zum BH-tragenden Häschen beginnt. Quintana
durchlebt sie mit Qualen. Als „Little brown fuck
machines„bezeichnen die Touristen die Frauen. Eine schnelle
Kusshand wirft sie den Brüdern zu.
Die Hurenkinder sind
im Betrieb des Sextourismus die lästige Nachgeburt. In Angeles
werden sie meist auch so entsorgt. Ihr Fleisch, aus dem Bauch
geschabt, landet auf den Halden der Mülldeponien. Weil Abtreibungen
auf den Philippinen verboten sind, floriert das Gewerbe der
Engelmacherinnen, der „Comadronas“, die Operationen auf dem
Wohnzimmertisch vornehmen. Es gibt im städtischen Hygienebüro, wo
sich die Huren alle drei Monate untersuchen lassen müssen, eine Wand
mit Todesanzeigen. Zwei Frauen des „Las Vegas“ sind neulich
binnen einer Woche gestorben und zwei im „Emotion“. So groß ist
das Problem, dass eine Klinik eine Notfall-Abteilung für misslungene
Abtreibungen aufmachte. Denn Angeles boomt, keine Spur von
Finanzkrise. Die immer wieder ausbrechenden politischen Unruhen in
Thailand, heißt es, treiben der Stadt die Kunden zu. Die offiziell
niedrigen Aids-Raten, die jedoch wenig glaubhaft sind, locken
außerdem. Laut Studien benutzt nur einer von drei Freiern ein
Kondom, und die Pille können sich die Frauen nicht leisten. Das
Areal des Vergnügungsviertels hat sich in den vergangenen Jahren
fast verdoppelt. Die Rechnung ist einfach. Mit jedem Club sterben
mehr Frauen.
Dem Vater ihrer
Tochter hastet Priscilla Allego, 20, auf der Amüsiermeile hinterher.
Basketballkappe auf dem Kopf, das zerknitterte Foto des viermonatigen
Babys in der Tasche. Sie ist eine kleine Frau mit kurzen Beinen.
Stoßweise geht ihr Atem, er darf ihr nicht entkommen. Ein
Australier, um die 60, der alle paar Monate nach Angeles reist und
Allego mehrere Nächte lang „gemietet“ hatte. Immer ohne Kondom,
sagt sie, er war der einzige Kunde in dieser Zeit. Eine Kollegin
hatte ihr eine SMS geschickt, der Vater sei wieder in der Stadt.
Einmal hat es Allego sogar geschafft, ihn zu stellen. „Das ist
nicht mein Kind“, hatte er ihr gesagt. „Er hat mir nicht mal in
die Augen geguckt“, erzählt sie aufgeregt. Einen DNA-Test verlangt
sie. Wortlos ist er weitergelaufen. Sie folgt ihm überall hin, vom
Hotel zum Bordell und in die Kneipe. Allego will Gewissheit für ihr
Kind und finanzielle Unterstützung. Die Pförtner scheuchen sie weg,
von der Polizei kommt keine Hilfe. Dennoch harrt sie aus bis in den
Abend, dann geht sie zurück zu ihrem Kind, das fast so weiß ist wie
der Mond.
Es kräht und
giggelt in dem Quartier, in dem Allego zu Hause ist, wenige hundert
Meter von den Glitzerbars entfernt. Babys gibt es unter fast jedem
Blechdach, fließend Wasser und Strom nur manchmal. Die Gassen sind
kaum breiter als ein Handkarren. Die Familien schlafen zu fünft, zu
sechst in einem Raum. Hier nährt die Prostitution die Prostitution,
womit die Mütter der heutigen Huren begannen. Zunächst stellten die
GIs der nahen US-Airbase die Kunden, seit deren Abzug arbeiten die
Töchter international.
Vaterlosen Nachwuchs
aus aller Herren Länder ziehen sie in den Slums dieser Stadt auf.
Das Anderthalbjährige in der Nachbarhütte von Allego soll von einem
deutschen Autohändler sein, der Dennis heißt. In der Hütte
gegenüber wohnt die 29-jährige Richel Yu mit ihrem zweijährigen
Sohn. Rote Haare wie der Vater, sagt sie. Ein Brite. Achtlos stopft
sie Süßigkeiten in den Jungen hinein. „Er macht mir das Leben zur
Hölle wie früher der Alte. Gleicher Charakter“, klagt sie.
„Daddy! Daddy!“, kräht der, als er im Fernseher einen Weißen
sieht. „Deinen Daddy bringe ich in den Knast“, tippt sie auf die
Brust des Kleinen. „Der soll für dich zahlen.“ Es ist für viele
Frauen nicht einfach, das Kind eines Kunden zu lieben.
Viele Huren
verwandeln ihren Nachwuchs in bare Münze. Kinderhändler ziehen von
Bar zu Bar, holen Erkundigungen über mögliche Geburten ein.
Mamasans, die Vorsteherinnen der Bordelle, vermitteln die Deals. Auch
bei Allego sprach ein Interessent vor, ein angeblicher Missionar, der
ihr Kind haben wollte, als es noch im Bauch war. Geld versprach er
ihr, die Begleichung der Krankenhauskosten, wenn sie nur die
Adoptionspapiere unterschreibe. „Willst du, dass das Baby so wird
wie du - eine Hure?“, bedrängte er sie. „Ich bin eine gute
Mutter“, sagt sie verletzt. Eine Familie in Korea warte schon auf
das Kind, lockte der Mann. Tatsächlich handelt es sich bei ihm, der
sich in den Bordellen als „Missionar“ ausgibt, um einen Dozenten
der Universität Amsterdam mit beruflichen Verbindungen auf die
Philippinen. „Er will bei seinem nächsten Besuch das Baby sehen“,
sagt Allego. „Ich habe Angst.“ In den vergangenen Jahren,
bestätigen Hilfsorganisationen in der Stadt, pendelte sich der
Durchschnittspreis für ein Kind bei etwa 130 Euro ein. Zehn
Monatsgrundlöhne sind in den Bordellen von Angeles City der
Gegenwert eines Lebens.
Das Einzige, was den
Kindern bleibt, sind Schnappschüsse. Auf ihnen glotzen betrunkene
Männer aus dunkler Partynacht. Eigenartige Dokumente, die mit den
wichtigsten Familienunterlagen verwahrt werden. Auch William Guarino,
16, besitzt so eine Fotografie. Sein Vater, ein Deutschamerikaner,
trägt Sonnenbrille und Bierflasche vor dem Bauch. Im achten Monat
der Schwangerschaft hat er sich davongemacht. Nie wieder haben sie
seither von ihm gehört. William hütet das Foto wie ein
Heiligenbild.
Der Junge, der
aussieht wie einer aus Bremen oder Pirmasens, nur etwas zierlicher,
wird auf der Straße oft auf Englisch angesprochen. Dabei versteht er
es kaum. Sein Vater lebt in Deutschland, dem FOCUS hat er einen Brief
an ihn mitgegeben. „Lieber Dad, hier ist dein verlorener Sohn. Das
Leben für uns ist nicht einfach, aber wir haben unser Auskommen.
Mutter betreibt einen kleinen Laden. Wir verkaufen alles: Reis,
Zucker, Kaffee. Sogar DVDs. Ich züchte Tauben. Ich mache bald den
Schulabschluss. Dad, ich würde dich gern kennen lernen. Ich liebe
dich, obwohl ich dich nie getroffen habe. Ich liebe dich, weil du
mein Vater bist. Bitte antworte mir.“ William ist der überbehütete
Jüngste der Familie. Sein Bruder Joseph, vier Jahre älter, lernt
angestrengt, studiert mit Hilfe der Preda-Stiftung für arme
Familien. Er macht seinen Weg. William träumt. Ist schüchtern. Vor
wenigen Wochen fiel er in den Zwischenprüfungen der Highschool
durch. Muss jetzt ein Jahr wiederholen. Seine Mutter, der man ihre
Zeit als Barmädchen längst nicht mehr anmerkt, weint und schimpft.
William fragt sich immer häufiger, wie viel von seinem fremden Vater
in ihm ist. Damit er eines Tages das Fremde in sich versteht.
Er ist der geborene
Außenseiter. Die meisten Hurenkinder bleiben es, auch als
Erwachsene. Sie leiden stärker als andere unter Depressionen. Die
Suizidrate ist höher. Das zeigen Studien US-amerikanischer
Stiftungen, die sich um die Kinder von GIs kümmern. Sie landen
häufiger im Gefängnis. Besonders schwer haben es die Nachkommen von
Afroamerikanern. Nur eine einzige kleine Hilfsorganisation nimmt sich
ihrer an. Die „Renew“-Stiftung an der Universität Oxford berät
die Frauen in Rechtsfragen und unterstützt sie bei der Suche nach
zahlungsunwilligen Vätern.
80 Dollar hat
Williams Vater der Mutter überreicht, dann ist er gegangen. Sein
Sohn, eigentlich unter Hausarrest, wegen der verpatzten Prüfung,
darf heute ausnahmsweise auf den benachbarten Sportplatz. Basketball
ist seine Leidenschaft, der Ball sein größter Besitz. Doch die
Jungs, die dort bereits spielen, ignorieren ihn. Er fragt, ob er
mitmachen könne. Sie grölen und juchzen. Sie schlagen ihm den Ball
aus der Hand, „leihen“ sich ihn. Irgendwann geht er vom Feld und
setzt sich an den Randstreifen. Sein Stammplatz. Er hofft bis zum
Ende, dass sie ihn spielen lassen. Sie tun es nicht. Zurück |